Eine Gegenwelt zu der an Wirtschaftlichkeit und Erfolg orientierten Welt

Nachricht Herzberg, 14. Februar 2020

Erste Sitzung der Kirchenkreissynode und die letzte Sitzung für Superintendent Volkmar Keil

@Christian Dolle

„Es war mir immer eine große Freude, für diesen Kirchenkreis arbeiten zu dürfen“, sagte Volkmar Keil am vergangenen Freitag in seinem Ephoralbericht, „Es war eine gute, ich möchte sagen eine wunderbare Zeit. Und ich hoffe, man hat es mir unterwegs auf dem Weg manchmal angesehen.“ Die erste Synode des Kirchenkreises Harzer Land (der Kirchenkreistag wurde schlicht umbenannt) war zugleich die letzte Sitzung für Volkmar Keil als Superintendent.

Natürlich nutzte er die Gelegenheit, um auf die vergangenen Jahre seines Wirkens zurückzublicken. Auf die Gründung des Kirchenkreises aus den vorherigen Kirchenkreisen Clausthal-Zellerfeld, Herzberg und Osterode im Jahr 2013, die seiner Ansicht nach trotz sehr unterschiedlicher regionaler Besonderheiten zu einer Gemeinschaft gewachsen sind. Auf das große Luther-Happening im Jahr 2017, mit dem es gelang, auch der Kirche nicht allzu nah stehende Menschen anzusprechen und zu begeistern. „Kirche muss aus ihrer Binnensprache heraus, wenn sie nach außen wirken will“, zog er daraus als Lehre.

Doch er blickte nicht nur auf viele Stationen zurück, sondern vor allem auch nach vorn. So hinterlasse er den Kirchenkreis fast ohne Vakanzen, das jedoch werde nicht so bleiben. Durch den Pastorenmangel werde jede Neubesetzung immer schwieriger. Hinzu kommt der Mitgliederschwund in der Kirche, fehlendes Vertrauen und die Einsicht, dass Kirche sich in den kommenden zehn Jahren grundlegend verändern muss.

Das jedoch, so gab der scheidende Superintendent zu bedenken, habe sie in den vergangenen zehn Jahren auch, sei heute nicht mehr die Kirche, die sie damals war. „Immer wieder wird gesagt: Kirche ist zu viel mit sich selbst beschäftigt. Das stimmt. Und spätestens, wenn man das Gefühl hat, Kirche redet mehr von sich selber als von unserem Herrn Jesus Christus, ist etwas nicht mehr in Ordnung.“

Selbstverständliche müsse Kirche sich Gedanken über Strukturen machen, doch sei sie in vielerlei Hinsicht „eine Gegenwelt“ zu der an Wirtschaftlichkeit und Erfolg orientierten Welt, in der sie sich befindet. „Kirche spricht von einem Gott, der uns nicht vom Erfolg her beurteilt. Kirche spricht von einem Gott, der Fehler und Verfehlungen zulässt und vergibt.“

Daher dürfe Kirche sich nicht in Beliebigkeit auflösen, sondern müsse gegensteuern. „Wir müssen wieder eine missionarische Kirche werden“, mahnte er. Nicht in dem Sinne der Bilder, die man heute von Mission in der Vergangenheit hat, wohl aber in einem Kontext, in dem die Kirche heute alle Religionen als gleichwertige Wege zu Gott anerkennt, sie dennoch für den eigenen Glauben werben darf, ja muss. „Bedenkenswert ist, dass die meisten Religionen, mit denen wir auf Augenhöhe reden, deshalb ihre Überzeugung nicht aufgeben, dass ihr Weg der Beste ist“, führte er aus, „Ich wäre kein Christ, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass Jesus Christus die entscheidende Antwort auf die Fragen der Welt ist und der entscheidende Weg für mein Leben.“

Wichtig für diese moderne Art von Mission sind seiner Meinung nach Netzwerke, die Zusammenarbeit mit anderen im Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung und damit die Wirkung nach außen, dass Kirche immer noch ein relevanter Player in der Welt ist. Und ebenso wichtig sei der Kontakt zu den Menschen. Es sei die große Herausforderung, Menschen an die Institution Kirche zu binden, „nicht durch Überredung oder gar Manipulation, sondern durch ansteckende Freude, die sich durch Gott über die ganze Welt verbreitet.“

Verabschiedet wird Superintendent Keil am 1. März, das Verfahren für die Neubesetzung ist eingeleitet, doch voraussichtlich wird das noch bis Ende des Jahres dauern. In der Zwischenzeit übernimmt Pastor Dr. Uwe Brinkmann die Aufgaben.

Eingeleitet wurde die Sitzung zuvor mit einer Andacht von Pastor Volker Dobers, der an die Zerstörung Dresdens und das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren erinnerte, was damals viele Menschen verzweifeln und durchaus mit Gott hadern ließ. Leider, so merkte er an, wiederholen sich solche Zerstörungen von Städten bis heute „als ob die Menschheit nichts daraus gelernt hätte“. Im Anschluss gab es passend ein Referat über die Flüchtlingssozialarbeit im Kirchenkreis (hierzu wird ein eigener Bericht folgen).

Entschieden werden musste noch über eine Richtlinie zur Vergabe von Sondermitteln der Landeskirche, die übergemeindlichen und nachhaltigen Projekten zukommen sollen. Das Gremium diskutierte über eine möglichst gerechte Verteilung der ca. 350 000 Euro, dem mehrfach umformulierten Beschluss wurde letztlich mehrheitlich zugestimmt.

Zum Ende der Sitzung gab es dann zum Einen noch ein Dankeschön für Petra Utermöller für ihr Engagement in der Frauenarbeit, das sie nun aus privaten Gründen ein wenig zurückfährt und als besondere Überraschung einen Besuch von Pastor i.R. Dr. Friedrich Seven, der den scheidenden Superintendenten in einem humorvollen Gedicht würdigte, das beim gesamten Gremium sehr gut ankam. „Der Harz, das ist ein selten Ding, alle evangelisch – keiner geht hin“, hieß es darin unter anderem oder: „Lieber Volkmar, wir schließen heut' nach deinem letzten Ephoralberichte ein Stück Harzer Kirchengeschichte.“

Christian Dolle

Ephoralbericht der Kirchenkreissynode vom 14.02.2020

Ephoralbericht auf der Kirchenkreissynode am 14. 2. 2020

Sup. Volkmar Keil

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

mit diesem Ephoralbericht verabschiede ich mich von Ihnen als Superintendent dieses Kirchenkreises. Es ist mein letzter Ephoralbericht, den ich Ihnen vor meinem Ruhestand gebe.

 

Es war mir immer eine große Freude, für diesen Kirchenkreis arbeiten zu dürfen. Es war eine richtig gute Zeit. Und ich hoffe, man hat es mir auch unterwegs auf dem Weg auch manchmal angesehen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die konstruktive Zusammenarbeit auf den manchmal nicht ganz einfachen Wegstrecken. Ich danke Ihnen, dass ich mich von Ihnen immer wieder ein gutes Stück getragen fühlen konnte. Ich habe manchmal gestaunt, mit wie großen Mehrheiten wir die meisten Beschlüsse fassen konnten. Ich meine, dass wir einen guten Stil miteinander entwickelt haben. Es ist nicht selbstverständlich, dass uns das gelungen ist. Aber es hat sehr dazu beigetragen, unseren Kirchenkreis gut in die Zukunft zu führen. Ich danke Ihnen noch einmal von ganzem Herzen.

 

Ich freue mich, dass meine Frau heute anwesend ist. Das war mir wichtig. Denn sie hat meinen Weg begleitet. Sie hat mir den Rückhalt gegeben, den ich für das alles gebraucht habe. Und sie war für mich da, wo das nötig war. Das war wichtig für alles, was ich gemacht habe. Dir also gilt mein besonderer Dank.

 

Für den letzten Ephoralbericht habe ich mir eine Mischung aus Zusammenfassung meiner Arbeit und Ausblick vorgenommen. Ich werde mit einem Rückblick beginnen. Dann möchte ich die gegenwärtige Situation erläutern. Und schließlich einige Bemerkungen zur Zukunft machen.

 

I

 

Ich beginne mit dem Rückblick.

 

Am 1. 1. 2013 wurde aus den drei Kirchenkreisen Clausthal-Zellerfeld, Herzberg und Osterode der Kirchenkreis Harzer Land. Es war eine Fusion, für die wir uns viel Zeit gelassen haben, eigentlich das Äußerste, was uns die Landeskirche zugestanden hat. Und gleich zu Beginn haben wir eine gewichtige Entscheidung getroffen für den Gemeinsamen Ausschuss, der die Fusion vorbereitet hat: Wir treffen alle Entscheidungen nur mit Dreiviertelmehrheit. Damit war klar: Kein Kirchenkreis kann überstimmt werden. Das hat Vertrauen wachsen lassen.

 

Am Ende war die Fusion fast geräuschlos. Ich würde sie auch nach wie vor als gelungen bezeichnen. Ein Gegeneinander der Altkirchenkreise habe ich an keiner Stelle beobachten können. Eher im Gegenteil: Es ist ein großer Wille zur Gemeinschaft gewachsen. Eigentlich hat die Fusion keine Probleme ausgelöst. Das heißt nicht, dass es nicht genügend Probleme gab. Aber die hätten wir ohne die Fusion auch gehabt. Schon 2016 war das Vertrauen so groß, dass es kein Verlangen gab, die Vereinbarung zwischen den Altkirchenkreisen zu verlängern.

 

Der neue Kirchenkreis begann mit einem großen Gottesdienst am 6. Januar in der Herzberger Nicolaikirche. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie es mir als ehemaliger Herzberger Superintendent ermöglicht haben, den neuen Kirchenkreis als Superintendent zu leiten. Auch darin lag ein großes Stück Vertrauen über Altkirchenkreisgrenzen hinweg. Dafür bin ich Ihnen von Herzen dankbar.

 

Schnell wurde sichtbar, dass die unterschiedlichen Regionen viel wichtiger waren als die Altkirchenkreise. Der Kirchenkreis Harzer Land weist nicht nur unterschiedliche Klimazonen auf, sondern seine Regionen sind auch ganz unvergleichbar anders. Die Bäderregion und das Eichsfeld, im selben Altkirchenkreis gelegen, sind ganz eigene Welten. Und das Alte Amt hat wenig mit dem Oberharz zu tun. Auch die innere Struktur entwickelte sich in den Regionen unterschiedlich. Während das Eichsfeld klassisch pastorenzentriert sich aufgestellt hat, hat der Oberharz mit Teampfarramt und zunehmend auch unterschiedlichen Berufsgruppen ganz andere Wege eingeschlagen.

 

Die Regionen wurden damit zu den wichtigen Untereinheiten des Kirchenkreises. Der Kirchenkreis Harzer Land funktioniert nicht zentralistisch. Und das war mir immer ganz wichtig. Ich wollte nie einen zentralistischen, sondern einen pluralen Kirchenkreis, einen Kirchenkreis, der die Eigenarten und Wünsche der einzelnen Bereiche achtet und fördert. Das haben wir auch durch den großen Perspektivprozess durchgehalten. Und ich bin überzeugt: Nur dadurch konnte er gelingen. Ich hoffe, der Kirchenkreis kann sich diese Pluralität erhalten. Als Problem habe ich sie übrigens nie gesehen, sondern als eine unglaubliche Bereicherung. Ich denke manchmal, es liegt in diesem Kirchenkreis ein unglaublicher Reichtum zwischen Universität und Diaspora, zwischen Kurorten und Welfenschlössern, zwischen Patronat und Bauern, die um Land kämpfen, zwischen der höchsten Erhebung Niedersachsens, dem Torfhaus, und der Mitte Europas, die – nach einer von vielen möglichen Berechnungen – in Krebeck liegen soll. Und ich denke manchmal, ich könnte Ihnen Ortsnamen nennen, von denen wahrscheinlich die meisten von Ihnen nicht wissen, wo sie liegen. Wissen Sie, wo Festenburg liegt? Kennen Sie Wiershausen? Waren Sie schon einmal in Esplingerode? Oder haben Sie schon einmal die Einsamkeit in Königshagen gespürt? Das alles habe ich kennenlernen dürfen, sehen dürfen, lieben lernen dürfen. Es ist schon etwas Besonderes, Superintendent im Kirchenkreis Harzer Land zu sein.

 

Und doch kann dieser Kirchenkreis gemeinsam handeln. In ganz unterschiedlicher Weise ist das immer wieder geschehen. Bei Ihnen hier ist das geschehen, wo dieser Kirchenkreis in manchmal ungewohnter Einmütigkeit die richtungsweisenden Entscheidungen getroffen hat. Nun muss ich sagen, dass diese manchmal sehr eindeutigen Stimmergebnisse ihren Grund hatten. Die wichtigen, großen Entscheidungen haben wir Ihnen so gut wie nie überraschend vorgelegt. Wir haben sie immer wieder im Vorfeld besprochen. Und haben, wo es möglich war, auch noch viele Veränderungen vorgenommen. Leitung haben wir immer partizipatorisch verstanden, auch die, die mit mir als Stellvertreter unterwegs waren. Ich habe mich sehr bemüht, einsame Entscheidungen gering zu halten (die gibt es, die sind schon aus zeitlichen Gründen nicht zu verhindern, aber Normalfall sollte das nie werden). Ich hoffe, das ist ein Stück weit geglückt.

 

Ein gemeinsames Handeln war auch der Perspektivprozess. Ich kann gut verstehen, dass er am Anfang vielen kryptisch und überflüssig erschien. Aber wie wichtig er war, ist in seinem Verlauf mehr und mehr sichtbar geworden. Es war schon eine kühne Idee, in einem so großen Kirchenkreis einen offenen Prozess zu gestalten, der auf Partizipation aus war. Herr Brinkmann hat diesen Prozess dann gestaltet und geplant. Dafür kann ich nur immer wieder danken. Natürlich: Die Stellenplanungsergebnisse liegen bei allen obenauf. Das kann man nicht verhindern. Aber der Prozess hatte viel mehr Ergebnisse, vor allem in der Fachgruppenphase. Ich bitte Sie, sich immer wieder einmal daran zu erinnern und diese Ergebnisse vorzunehmen, besonders, wenn es mit den Vakanzen gravierender wird.

 

Die Umsetzung der Stellenplanungsergebnisse sind natürlich schmerzlich. In der Bäderregion und der Region Herzberg/Hattorf hat die Umsetzung schon stattgefunden, weil Pastor Marhenke vorzeitig in Ruhestand ging. Das war alles andere als einfach, hat sich aber jetzt inzwischen eingespielt. Für zwei Regionen liegen die Umsetzungen noch vor ihnen: Für Osterode, wenn die Stelle von Herrn Bohnert dann nicht wiederbesetzt wird, und für den Oberharz, wenn die Stelle von Frau Siuts nicht wiederbesetzt wird. Ich hoffe, auch das wird einen guten Verlauf nehmen. Aber leicht wird es nicht.

 

Die erste Aufgabe des Kirchenkreises nach der Fusion lag darin, die Zuweisungen der Gemeindefinanzen neu zu regeln. Der Nachteil der stufenweisen Einführung war allerdings, dass die Sache für viele Kirchengemeinden noch ganz weit weg war. Erst jetzt allmählich wird mancherorts sichtbar und fühlbar, dass man -je nach Kirchengemeinde- bald mehr oder weniger im Säckel haben wird.

 

Der Kirchenkreis hat aber nicht nur gemeinsame Entscheidungen getroffen, sondern er hat auch miteinander gefeiert. Das große Luther-Happening von 2017 ist mir noch in großartiger Erinnerung. Es war ein wunderbares Fest. Und es hat wirklich Menschen aus allen Regionen des Kirchenkreises zusammengeführt. Und es war einfach schön. Ich denke immer noch mit großem Glück an diese Tage. Ja, das kann unser Kirchenkreis auch. Dieser plurale Kirchenkreis kann sich zusammentun und gemeinsam solche Tage ausrichten. Großartig. Und da sage keiner, dieser Kirchenkreis sei nicht in aller Vielfalt auch eine Einheit. Die Kirchenkreisempfänge, die es in den Folgejahren gab, haben, so wie sie besucht waren, deutlich gemacht, dass das auch keine Eintagsfliege war.

 

Dass das Luther-Happening so viele Menschen angesprochen hat, die nicht zum kirchlichen Kernbereich gehörten, war etwas, was wir erhofft, aber nicht in dem Umfang erwartet haben. Es war nicht nur ein Fest, sondern hat der kirchlichen Arbeit des Kirchenkreises neuen Schwung und Antrieb gegeben. Dazu hat übrigens auch der – im Vorfeld viel kritisierte – Titel beigetragen, der für Außenstehende diese Öffnung aber programmatisch sichtbar gemacht hat. Ich denke, das ist überhaupt wichtig: Kirche muss aus ihrer Binnensprache heraus, wenn sie heute nach außen wirken will.

 

Eines muss ich natürlich noch erwähnen: Kaum war der Kirchenkreis fusioniert, stand eine neue Fusion im Raum: Die Fusion der Kirchenkreisämter Northeim und Osterode. So schmerzlich es war, war es aus Sicht unseres Kirchenkreises eine notwendige Fusion. Das Kirchenkreisamt Osterode war personell nicht so ausgestattet, dass es seine Aufgaben mühelos erfüllen konnte. Ich danke Frau Eulert und Herrn Steinke, dass sie mit großer Kraftanstrengung alles möglich gemacht haben, was möglich war. Jetzt, nach der Fusion, sind die strukturellen und personellen Probleme weitgehend behoben. Hier gilt besonders Herrn Himstedt unser großer Dank, der mit seiner Ruhe und seiner Kompetenz eine Fusion gestaltet hat, die ein gutes und voll funktionierendes gemeinsames Amt zur Folge hatte. Auch hier sind die Kirchenkreise Leine-Solling und Harzer Land einen guten Weg miteinander gegangen. Wir haben uns an keiner Stelle gegenseitig verhakt. Wir haben nie das Gefühl gehabt, übervorteilt zu werden. Und die Zeit, die wir durch das Fehlen von gegenseitigem Misstrauen gespart haben, haben wir genutzt, um sie der neuen Konzeption konstruktiv zu Gute kommen zu lassen.

 

II

 

Ich lasse es einmal an dieser Stelle mit dem Rückblick. Obwohl man natürlich noch hätte ganz viel sagen und erwähnen können. Ich schaue jetzt auf die Gegenwart. Wie stellt sich unser Kirchenkreis heute dar?

 

Zunächst einmal – und das sage ich, obwohl es sonst so meine Sache eigentlich nicht ist, mit ein wenig Stolz - : Ich hinterlasse Ihnen einen Kirchenkreis fast ohne Vakanzen. Und das ist in einer Zeit, wo selbst attraktive Kirchenkreise zeitweilig bis zu sechs Vakanzen haben, keine Selbstverständlichkeit. Vakant ist im Augenblick lediglich die Kirchengemeinde St.Ägidien, die aber durch unseren Springer, Pastor K.-W. Depker, gut versorgt ist. Auf diese Stelle gibt es mittlerweile eine Bewerbung. Kirchengemeinde und Bewerbung müssen sich noch kennenlernen. Das ist auf den Weg. Ich hoffe, die Vakanz ist bald zu Ende. Der Kirchenkreis ist also so versorgt, dass sich die Notwendigkeit zum zusätzlichen Dienst der Kollegen und Kolleginnen meistens nicht ergibt.

 

Stopp – eine Vakanz habe ich noch vergessen: Die Schulpastorenstelle an der BBS II ist noch unbesetzt. Aber dafür ist nicht der Kirchenkreis, sondern die Landeskirche zuständig.

 

Eine längere Krankheit gibt es: Die Krankheit von Pastor Michael Henheik, dem wir von hier aus alles Gute und gute Besserung wünschen. Er wird in keinem Fall vor dem Sommer wieder da sein. Da passt es gut, dass uns für die letzten zwei Jahre vor dem Ruhestand die Landeskirche eine weitere Pastorin zugewiesen hat: Frau Pastorin Astrid Schwerdtfeger, für viele im Kirchenkreis keine Unbekannte, denn sie war sowohl in Bad Sachsa/Steina als auch in Hilkerode schon tätig. Diese Zuweisung teile ich Ihnen hiermit zugleich offiziell mit; sie belastet nicht unseren Stellenplan. Frau Pastorin Schwerdtfeger wird jetzt zunächst in Bad Grund und Wildemann ihren Dienst tun.

 

Die Situation mit den Vakanzen wird sich ändern. Bis 2026 gehen ca. ein Drittel aller Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand, so dass mit einer richtig schwierigen Situation zu rechnen ist. Wir haben gegenwärtig deutlich weniger Pastorinnen und Pastoren als offene Stellen. Und der Pastorenmangel wird sich weiter verstärken. Damit wird jede Neubesetzung immer schwieriger. Bitte lasten Sie es meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin nicht an, wenn es nicht so weitergehen sollte wie bisher. Auch ich wäre nicht imstande, die gegenwärtige Situation zu halten.

 

Ich möchte Sie dabei darauf aufmerksam machen, dass Sie in Ihrem Stellenplan keine Stellen für Springer ausgewiesen haben. Das ist ein Problem. Wenn der landeskirchlich finanzierte Pastor Depker in Ruhestand geht, fällt diese landeskirchliche Finanzierung weg. Das betrifft auch in zwei Jahren Frau Pastorin Schwerdtfeger. Dann ist niemand mehr da, der/die in vakanten Gemeinden Dienst tun kann. Das ist ein Problem, das vielleicht noch einmal bedacht werden sollte.

 

In unserem Kirchenkreis gibt es besonderes Phänomen: Wir haben fast 8 landeskirchlich finanzierte Personen unter uns (7, 75). Alle übernehmen Aufgaben, die entweder direkt den Gemeinden zu Gute kommen oder Arbeitsbereiche abdecken, die sonst von den Gemeinden mit übernommen werden müssten.  Mir war es immer wichtig, viele dieser Kolleginnen und Kollegen für unseren Kirchenkreis zu gewinnen. Machen Sie sich einmal klar, wir müssten die Arbeit im Kirchenkreis mit acht Personen weniger machen. Das würde uns vor ein dramatisches Problem stellen.

 

Aber genau mit diesem Problem muss man sich für die Zukunft beschäftigen. Angesichts des großen Pastorenmangels werden nach dem Ruhestand der einzelnen Personen diese Sonderstellen wahrscheinlich auslaufen. Die Landeskirche wird interessiert sein, stattdessen die vakanten Stellen zu besetzen. Hier stehen empfindliche Einschnitte bevor, die mit unserem Stellenplan nichts zu tun haben. Es ist gut, wenn man sich darauf vorbereitet.

 

Wir als Kirchenkreisleitung haben versucht, wenigstens die kommende Vakanzsituation in den Blick zu nehmen und nach Möglichkeit zu entschärfen. Dieser Prozess ist noch nicht zu Ende, sondern er muss noch weiter gegangen werden. Die Einrichtung der zwei befristeten Diakonenstellen, die Sie beschlossen haben, ist eine erste Maßnahme dafür. Wir sind auch in Gesprächen, wie weit das Kirchenamt stärker Verwaltungsaufgaben aus den Gemeinden übernehmen kann. Das setzt natürlich auch finanzielle Ressourcen voraus. Sie sehen, wir sind auf dem Weg. Und diesen Weg werden meine Stellvertreter in der Superintendenturvakanz sicherlich fortsetzen. Nichts ist schlimmer als das Szenario, dass die Kollegen und Kolleginnen im Kirchenkreis so belastet werden durch Vakanzen, dass sie sich wegbewerben.

 

Sorge macht mir auch die Kirchengemeindefinanzierung. Viele Gemeinden kommen schon jetzt mit ihrem Geld kaum oder nicht mehr aus. Aber auf Defizit leben macht erst recht keinen Sinn. Denn es wird nicht mehr Geld. Und es wird kaum die Möglichkeit geben, Defizite auszugleichen. Tatsächlich werden sich Kirchengemeinden von Arbeitsbereichen trennen müssen, weil sie nicht mehr finanzierbar sind. Das Geld, wöchentlich die Kirche zu heizen, ist schon jetzt mancherorts nicht mehr vorhanden. Das macht mir Kopfzerbrechen. Und dabei haben wir in der letzten Planungsrunde die Gemeindefinanzen schon nicht mehr gekürzt.

 

Leider ist bei jeder Stellenplanungsrunde die fast einzige Alternative: Entweder man kürzt bei den Pastoren oder man kürzt bei den Gemeinden. Es gibt so gut wie keine andere Möglichkeit. Und die nächste Kürzungsrunde wird kommen, bei uns durch die demografische Entwicklung noch verstärkt. Vielleicht haben wir Glück und die neue Synode beschließt, was die alte noch vorgeschlagen hat. Dann käme ab 2023 (Planungsbeginn wäre nächstes Jahr) keine Kürzungsrunde auf uns zu. Aber spätestens vier Jahre danach geht es auf jeden Fall weiter.

 

Soweit einige Blicke auf die gegenwärtige Situation. Im Augenblick geht es dem Kirchenkreis verhältnismäßig gut. Dadurch, dass das Geld aus den Vakanzen bei uns bleibt, haben wir auch wieder finanzielle Ressourcen, die da und dort auch richtig hilfreich sind. Über diese gute Situation dürfen wir uns freuen. Dennoch dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, auf Zukunft hin zu planen. Wir haben versucht, Wege dazu einzuschlagen. Ich wünsche Ihnen, dass es auch weiter gelingt.

 

III

 

Was haben wir für die Zukunft zu erwarten? Lassen Sie mich einige Punkte kurz ansprechen.

 

1. Immer wieder wird gesagt: „Kirche wird sich gravierend verändern. Kirche in zehn Jahren wird völlig anders sein müssen als Kirche heute.“ Dieser Satz ist auch in der Landeskirche und in der Landessynode zu hören. Auch ich habe ihn schon gesagt. Er wird schon länger immer wieder neu gebetsmühlenartig vorgetragen.

 

Nein, ich will die Wahrheit dieses Satzes gar nicht bestreiten. Wahrscheinlich stimmt er sogar. Übrigens ist Kirche heute auch nicht mehr die Kirche von vor zehn Jahren. Aber das Problem dieses Satzes ist, dass er keinerlei Konkretionen aufweist.

 

Fragt man dann, wie Kirche in zehn Jahren sein wird, steht man großer Ratlosigkeit gegenüber oder einer neuen Sammlung von Leerformeln. Nein, wir wissen nicht, wie Kirche in zehn Jahren aussieht. Wir sind noch nicht einmal (von ein paar Tagungen abgesehen) in angemessen intensiven Gesprächen darüber, wie wir Kirche gestalten, dass sie in zehn Jahren zukunftsfähig ist. Wir sagen diesen Satz, korrigieren an Kleinigkeiten und machen prinzipiell so weiter wie bisher. An manchen Stellen hat dieser Satz dann sogar drohenden Charakter. Er wendet sich an Menschen, die sich in Kleinentscheidungen nicht bewegen wollen. Und denen sagt er dann: Habt endlich Einsicht und bewegt euch, denn es kommt bald noch viel schlimmer.

 

So wie dieser Satz im Augenblick gebraucht wird, macht er keine Lust zum Aufbruch. Stattdessen erzeugt er Ängste. Er macht ein ganzes Fass auf von Liebgewordenem, von dem man fürchtet, sich trennen zu müssen. Und das, ohne eine Perspektive zu bieten, was dann vielleicht positiv sein könnte.

 

Seien Sie skeptisch gegen diesen Satz. Es gibt einen Ort, wo dieser Satz Sinn macht. Und dieser Ort sind Gesprächsrunden, wo konkret über die Gestalt von Kirche in der Zukunft nachgedacht wird. Und solche Gesprächsrunden werden wir brauchen. Ich würde sie mir wünschen. Es gibt sie viel zu wenig. Auch kirchenkreisintern kann es solche Gesprächsrunden geben. Sie haben ja gemerkt, dass es durchaus eine Menge Freiräume gibt, in denen man experimentieren kann. Dazu möchte ich Ihnen sogar Mut machen. Machen Sie diesen Satz zu einem Satz, mit dem man Aufbrüche gestaltet. Und wo er Ihnen nur als vage Ankündigung ohne Konkretion gesagt wird, vergessen sie ihn schnell wieder.

 

2. Immer wieder wird gesagt: Kirche ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Das stimmt. Und spätestens wenn man das Gefühl hat, Kirche redet mehr von sich selber als von unserem Herrn Jesus Christus, scheint etwas nicht in Ordnung zu sein.

 

Trotzdem: Kirche hat hier ein Problem. Kirche ist ein öffentlicher Raum. Eine Firma kann über Umstrukturierungen intern reden. Die Kunden bekommen dann davon gar nichts mit. Sie sehen nur das wunderbare Produkt.

 

Diese Möglichkeit ist der Kirche nicht gegeben. Denn wenn ich aus zwei Pfarrstellen eine mache, dann ist das ein öffentlicher Vorgang. Der kann nicht verborgen bleiben. Und Kirche kann auch nicht verhindern, dass diese Vorgänge vor Ort diskutiert werden. Und automatisch wird vor Ort mehr über die Struktur von Kirche geredet als vom Evangelium.

 

Dessen muss sich Kirche bewusst sein. Und mit diesen Diskussionen kommt etwas in Gang, was ein uraltes Problem von Kirche ist. Vom Evangelium her ist Kirche an vielen Stellen eine „Gegenwelt“ zu dem, was wir in unserer von Wirtschaftlichkeit und Erfolg geprägten Welt erleben. Ich erinnere nur an das Beispiel von den Arbeitern im Weinberg. Kirche spricht von einem Gott, vor dem jeder Mensch Würde besitzt. Kirche spricht von einem Gott, der uns nicht vom Erfolg her beurteilt. Kirche spricht von einem Gott, der Fehler und Verfehlungen zulässt und vergibt. Und dann, in dem Moment, wo Kirche zur Organisation wird, ist Kirche dann plötzlich Teil der Welt und es geht in ihr nicht anders zu, als anderswo in der Welt auch.

 

Nein, ich glaube, da mache ich uns zu schlecht. Ich bin zutiefst überzeugt (und das habe ich auch erlebt), dass Kirche tatsächlich ein gutes Stück menschlicher ist als manches andere Unternehmen.

 

Kirche als Organisation ist Teil der Welt. Und genau an dieser Stelle sogar zur Solidarität mit der Welt verdammt. So wie Jesus Christus durch die Welt ging und seinen Weg durch ihre Bedingungen fand, so ist das auch von der Kirche gefordert. Kirche kann nicht besserwisserisch sein, weil sie es nicht besser macht. Und das wird uns auch von der Welt immer wieder unmissverständlich klargemacht.

 

Der entscheidende Punkt liegt an einer anderen Stelle. Kirche redet von einer Gegenwelt zur Welt von Wirtschaftlichkeit, Wachstum und Erfolg. Und sie muss davon reden. Und sie muss zugleich bekennen, dass sie selber diese Gegenwelt nicht überzeugend leben kann. Das heißt, nur als Kirche, die sich als schuldige Kirche bekennt und dann als in der Vergebung ihres Gottes befreite Kirche kann sie glaubwürdig handeln.

 

Ja, Sie werden weiter so handeln, dass Kirche viel zu viel von sich selber redet. Machen Sie sich daraus kein schlechtes Gewissen. Es wird ganz bestimmt nicht besser, wenn man nicht mehr anständig über den guten Weg und gute Strukturen redet. Je mehr man darüber diskutiert, desto größer ist auch die Chance, andere zu überzeugen. Aber es ist wichtig, durch alle diese Diskussionen durchscheinen zu lassen: Was wir hier tun, tun wir, weil Kirche immer Kirche in der Welt ist. Und damit nicht heilig, sondern schuldig. Und doch zugleich unter der Vergebung Gottes. Nur deshalb kann Kirche  Kirche in der Welt sein, weil sie unter der Vergebung Gottes steht. Und unter dieser Vergebung dürfen Sie auch in Zukunft munter über die gute Gestalt der Kirche diskutieren.

 

3. Man sagt: Der Institutionencharakter von Kirche verliert an Bedeutung, der Organisations- und Bewegungscharakter gewinnt an Raum. So erst jetzt wieder in einem Artikel von Christian Grethlein im Pfarrerblatt Januar 2020.

 

Zum Verständnis: Es erweist sich als sinnvoll, drei unterschiedliche Charakter von Kirche zu unterscheiden:

 

Da ist einmal der Charakter von Kirche als Institution. Es ist „das Modell, in dem die gegenwärtigen kirchenrechtlichen Bestimmungen mit ihrer staatsanalogen Struktur verortet sind. Ihr entspricht die Ausrichtung auf eine flächendeckende Versorgung, eine verlässliche Personalstruktur sowie ein allgemeines Finanzierungswesen“.

 

Ich unterbreche einen Augenblick. Ich glaube, es wird deutlich, dass ganz vieles von dem, was wir mit Kirche verbinden, in diesen Bereich gehört.

 

Dann kommt der Charakter als Organisation. Hier ist Kirche „zielgerichtet. Sie agiert auf dem Markt und wirbt für ihre Angebote. Dazu gehören Schwerpunktbildungen, Arbeit in Projektform mit flexiblen Beschäftigungsverhältnissen und eine zielbezogene Finanzierung etwa über Fundraising und Projektanträge.“

 

Der dritte Charakter ist der Charakter als Bewegung, man könnte auch sagen, der Charakter als Gemeinschaft. „Hier dominieren Gruppen mit Zuneigungs- und Angleichungsdynamiken. Rechtliche Regelungen erscheinen hier als formal und wenig hilfreich“. Hier gehört der ganze Bereich der „Wohlfühlkirche“ hinein, die Gruppen und Kreise, in denen wir uns verstanden und zu Hause fühlen.

 

Wenn Sie auf Ihre Kirchengemeinde schauen, werden Sie aus allen drei Bereichen viele Elemente finden. Und Sie werden auch unschwer Menschen erkennen, die sich dem einen oder dem anderen Typus zuordnen lassen. Kirche ist immer ein „Hybrid“, wie es Eberhard Hauschildt es einmal ausgedrückt hat. Ich denke, das wird auch so bleiben.

 

Aber was bedeutet es nun, wenn der institutionelle Charakter immer mehr in den Hintergrund tritt und Kirche vor allem im Charakter von Organisation oder Gemeinschaft gesehen wird? Das verändert unser Kirchenverständnis und unser Kirchenbild tatsächlich erheblich.

 

Denn betroffen ist damit gerade der Teil von Kirche, der als verlässliches Dasein von Kirche bisher unser Bild der Kirche bestimmt hat. Betroffen ist die Parochie, die verlässliche Zuordnung von einer Person und „ihrem“ Pastor. Betroffen ist eine Kirche, die Wort und Sakrament (die signa ecclesiae) verwaltet und austeilt. Betroffen ist eine Kirche, in der ich eine verlässliche Gottesdienstordnung und eine verlässliche Ordnung für die Taufe meines Kindes vorfinde. Betroffen ist eine Kirche, die mir verlässlich Gottesdienst in der Nähe meines Heimatortes garantiert. Betroffen ist eine Kirche, die mir garantiert, dass das, was sie tut, nicht menschliche Erfindung ist, sondern Gottes Willen entspricht.

 

Stattdessen verstärkt sich das Bild einer Kirche, die mir Räume und Gemeinschaften anbietet, in denen ich mich wohlfühlen kann. Stattdessen verstärkt sich das Bild einer Kirche mit Angebotscharakter, die mit mir gemeinsam den Ablauf einer Taufe oder einer Trauerfeier entwirft, die mir unterschiedliche Gottesdienstformen anbietet, unter denen ich wählen kann und mich versucht, durch Qualität und gute Arbeit zu überzeugen.

 

Ein besonderes Feld, in dem sich das ereignet, sind die aus England stammenden „New expressions of church“. Dabei wird gesagt: In Internetkirchen, Gaststättengottesdiensten und Gospelkirchen ereignet sich – so der Ansatz – im vollen Wortsinne Kirche.

 

Ich stimme der Aussage, dass sich der institutionelle Charakter zunehmend abschwächt, zu. Ich habe das Gefühl, es ist ein unaufhaltsamer Prozess. Auch in der katholischen Kirche, die ja durchgehend institutionell organisiert ist, ist dieser Prozess im Gange. Aber ich sehe ihn mit Sorge.

 

Ich sehe ihn besonders aus theologischen Gründen mit Sorge. Der Glaube, das macht uns die Apostelgeschichte sehr deutlich klar, wird nicht allein gelebt, sondern beruft uns in eine verbindliche Gemeinschaft, beruft uns in Gemeinde. Die Teilhabe an der ecclesia invisibilis (unsichtbare Kirche) realisiert sich in der Mitgliedschaft in einer Gemeinde. Das Wort kann man lesen (in der Bibel). Aber manchmal müssen wir es uns auch zusagen lassen.  Man kann sich nicht selbst segnen. Segen muss zugesprochen werden. Ich kann nicht allein Abendmahl feiern, sondern es muss mir gereicht werden: Christi Leib, für Dich gegeben. Und insofern braucht es eine Kirche, die mir das in einer einigermaßen erreichbaren Entfernung ermöglicht.

 

Ich werbe also dafür, auch in allen gegenwärtigen Entwicklungen, dem institutionellen Charakter von Kirche einen Platz zu bewahren. Das wird nicht mehr der gleiche sein, wie früher. Aber es sollte ihn geben. Ich weiß, das ist eine sehr konservative Sicht der Dinge. Aber auf jeden Fall hilfreich dazu, dass Kirche sich nicht zunehmend in Beliebigkeiten auflöst.

 

4. Schließlich: Man sagt: 2060 wird die Kirche nur noch die Hälfte der Mitglieder haben, die sie heute hat. Mag sein. Wie präzise solche Aussagen sind, zeigt der Blick darauf, wie Kirche im Jahre 1980 gewesen ist. Niemand hätte damals vorausgesagt, wie sich Kirche heute tatsächlich präsentiert. Aussagen über einen so langen Zeitraum hinweg sind immer hypothetisch.

 

Was stimmt, ist der rapide Mitgliederverlust. Basiert der Mitgliederverlust bei uns im Kirchenkreis vor allem auf der demographischen Entwicklung, so spielen bei den oben zitierten Berechnungen Austrittszahlen eine bedeutsame Rolle (Austritte, Überalterung, weniger Taufen). Viele, die jetzt noch bei der Kirche sind, werden die Kirche verlassen – so die Annahme.

 

Wenn man von den heutigen Gegebenheiten ausgeht, stimmt diese Annahme. Vor allem wird man sagen müssen, dass der Traditionsverlust so gravierend ist, dass dieser Tendenz kaum gegenzusteuern ist. Es fehlen in unserer Gesellschaft zunehmend auch nur die geringsten Kenntnisse über das, was Kirche ist und was Kirche sagt. Was in den Medien über Kirche erscheint, ist meistens auf bestimmte Segmente verengt. Gerade die eigentlichen Aussagen werden kaum noch transportiert. Angesichts dieses Traditionsverlustes steigt die Austrittsneigung. Warum soll ich in einer Organisation sein, von der ich noch nicht einmal so recht weiß, was sie will.

 

Wenn man sich diesen Blick auf die Situation ansieht, gibt es eigentlich nur eine klare Aussage. Ich weiß um die Probleme dieser Aussage, aber ich sage sie trotzdem: Wir müssen wieder eine missionarische Kirche werden.

 

Von ihren ersten Tagen an war Kirche missionarisch. Wir wären heute keine Christen und würden uns heute auch nicht in einer Kreissynode treffen, wenn Kirche nicht missionarisch gewesen wäre. Wieder ist es die Apostelgeschichte, die uns ausführlich darstellt, wie Kirche missionarisch wird. Aber auch von Jesus werden wir dazu aufgefordert. Der berühmte Taufbefehl ist eigentlich kein Taufbefehl (das erst in zweiter Linie), sondern zuerst ein Missionsbefehl („Gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker“).

 

Was macht uns also diesen von den ersten Tagen zur Kirche gehörenden Missionsgedanken so schwer?

 

Natürlich haben wir alle Bilder vor Augen, die nicht mehr in unsere Zeit passen. Damit, dass wir ein großes Zelt aufstellen und einen begeisterten Evangelisten einladen, werden wir nichts mehr erreichen. Wir brauchen Überlegungen, wie eine Mission in unserer Gegenwart aussehen kann.

 

Dazu kommt ein inhaltliches Hemmnis. Wir gehen heute davon aus, dass alle Religionen gleichwertige Wege zu Gott sind. Insofern pflegen wir auch einen interreligiösen Dialog auf Augenhöhe. Und wir anerkennen die Meinung von Menschen, die sich von jeder Art Gottesglauben losgesagt haben. Und wenn das so ist, stellt sich die berechtigte Frage, ob wir überhaupt noch Mission betreiben dürfen. Gibt es etwas, das die christliche Religion vor anderen Religionen und Weltanschauungen auszeichnet? Dürfen wir noch sagen: Wir sind besser?

 

Bedenkenswert ist, dass die meisten Religionen, mit denen wir auf Augenhöhe reden, deshalb ihre Überzeugung nicht aufgeben, dass ihr Weg der Beste ist. Und häufig ist bei ihnen dann sogar ein mangelndes Verständnis dafür unterwegs, dass es den Christen offensichtlich an Selbstbewusstsein fehlt. Und das tun auch alle Weltanschauungen. Gerade diejenigen, die allen Gottesglauben leugnen, reden sogar oft sehr verletzend über uns als Kirche, meistens mit der Tendenz: Wir wissen‘s besser.

 

Dennoch: Im Kontext all dieser Fragen muss sich ein modernes Missionsverständnis bewegen. Und wir brauchen auch gar kein „Wir sind besser“. Was wir aber brauchen ist ein selbstbewusstes „Wir sind gut“. Ich wäre kein Christ, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass Jesus Christus die entscheidende Antwort auf die Fragen der Welt ist und der entscheidende Weg für mein Leben. In ihm kommt die ganze Realität der Welt, gerade auch mit Leiden, Gewalt und Tod zum Ausdruck und wird überwunden zum ewigen Sieg von Leben, Liebe und Licht. Und das kann ich sagen, in aller Achtung davor, dass es auch andere Wege zum Leben geben mag und zugleich in der Hoffnung, dass sich andere Menschen davon überzeugen lassen.

 

Es geht also weder um manipulative Wege noch um überhebliche Wege.

 

Damit ergeben sich eine Reihe von Fragen:

Wie kann ich von meinem Glauben reden, so dass ich gehört werde?

Wo sind die Orte, an denen ich Menschen begegne, so dass ich mit ihnen diskutieren kann?

 

Wo sind die Orte für Bildung? Diese Orte braucht es, um das Christentum zu verstehen. Das Christentum ist eine differenzierte Religion. Es braucht Bildung. Früher war der Konfirmandenunterricht der hervorgehobene Bildungsort. Das ist so nicht mehr möglich, weil der Konfirmandenunterricht gerade dazu ausreicht, um im besten Falle einen positiven Zugang zu Kirche finden. Wo aber sind dann die Bildungsorte? Das Christentum hat nie die Diskussion mit den Wissenschaften gescheut. Wo finden aber solche Diskussionen statt, die auch entsprechend sichtbar sind für die Menschen?

 

Wichtig für ein modernes Missionsverständnis sind nach meiner Überzeugung auch die Netzwerke. Wir müssten viel mehr Ressourcen in die Netzwerke stecken. Wir brauchen Netzwerke zu allen gesellschaftlich relevanten Gruppen. Und ich habe in der Vergangenheit immer wieder die Erfahrung gemacht, wie bedeutsam diese Netzwerke sind für die Wahrnehmung der Kirche als relevanten player in der Welt.

 

Und wichtig ist der Kontakt zu den Menschen. Diesen Kontakt zu systematisieren ist eine Herausforderung. Das wird tatsächlich keine Sache von Hauptamtlichen sein können. Eine missionarische Kirche setzt voraus, dass nicht nur Hauptamtliche vom Glauben reden. Missionarische Kirche ist immer auch eine ehrenamtliche Sache gewesen.

 

Lassen Sie mich das noch ein wenig theologisch ausbauen:

 

Wer heute von Mission redet, kommt nicht um die theologischen Ansätze herum, die von der „Missio Dei“ her denken.

„Seit den 1950er Jahren fußen die meisten Missionstheologien auf diesem Gedanken (missio Dei  =„Gottes Mission“) und sehen somit nicht mehr die Kirche als Subjekt der Mission.

In der Vorstellung der missio Dei wird die Mission trinitarisch verankert: Gott der Vater sendet seinen Sohn Jesus Christus. Vater und Sohn senden den Heiligen Geist zur Versöhnung der Welt. Mission ist nicht mehr eine Veranstaltung der Kirche, sondern die Kirche unterstellt sich der Mission Gottes, der Zuwendung Gottes zur Welt. Gott selbst ist das Subjekt der Mission.

Mission ist damit ein Handeln mit globaler Dimension, denn der Heilswille Gottes bezieht sich dabei nicht nur auf die Menschen, sondern auf seine gesamte Schöpfung. Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind Teilaspekte dieser globalen Dimension, doch das letztliche Ziel der Mission weist über die jetzige Schöpfung hinaus und verfolgt ein eschatologisches Ziel, nämlich die Anbetung des dreieinigen Gottes in Ewigkeit.

Innerhalb dieser globalen Perspektive hat die Zuwendung Gottes zur Welt eine individuelle Dimension. Der Einzelne wird mit dem Zuspruch und Anspruch Gottes konfrontiert. Es gilt jedoch auch hier: Subjekt ist nicht die Kirche, sondern Gott – der sich dafür u. a. der Kirche bedient.“

Ich halte diesen Gedanken für sehr wichtig. Er nimmt die Verbissenheiten heraus, die früheren Missionsverständnissen oft anhafteten. Er befreit uns auch von falschen Erfolgsdruck. Es darf uns so gehen wie dem Apostel Jakobus, der – nach der Legende – aus Spanien wieder abreiste, nachdem es ihm nicht gelungen war, mehr als einen Menschen zu gewinnen. Nicht wir sind die Missionare, sondern wir machen uns zu einem Teil eines Prozesses, den Gott selbst (und vielleicht auf ganz unterschiedliche Weisen und auch in unterschiedlichen Religionen) mit seiner Welt geht.

Und der Gedanke macht sichtbar, dass Mission nicht nur auf das Wort gründet, sondern in einem großen Zusammenhang steht, der auch den Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einschließt.

Wir sind nicht verantwortlich für das Gelingen. Das befreit uns von einem falschen Umgang mit unseren Mitmenschen, der früher manchmal Mission eigen war. Wir beteiligen uns aber gern und mit Freude an der missio dei, mit Freude über einen Glauben, der eine weltweite Dimension hat und mit dem wir in der ansteckenden Glückserfahrung sind, in der Bewegung unseres Gottes zu stehen zum großen eschatologischen Ziel.

 

Ich breche hier ab.

 

 

 

Noch einmal danke ich Ihnen von Herzen für Ihre Gemeinschaft, für die kooperative Zusammenarbeit, für die wunderbare Art, in der wir gemeinsam den Weg für die Kirche im Harzer Land gestaltet haben.

 

Ich wünsche Ihnen, dass alles gut weitergeht.

 

Jetzt übernimmt erst einmal Pastor Dr. Brinkmann als mein Stellvertreter meine Aufgaben (in gewissen Bereichen, vor allem in Angelegenheiten des KKV, auch Pastor Andre Dittmann). Bei ihnen ist der Kirchenkreis in guten Händen.

 

Für die großartige Zusammenarbeit möchte ich mich bei Herrn Brinkmann noch einmal ausdrücklich bedanken. Wir haben eng zusammengearbeitet. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber konnten uns immer wieder mühelos auf einen gemeinsamen Weg verständigen. Wir haben auch über unsere gegenseitigen Stärken und Schwächen gewusst und die Arbeit entsprechend gestaltet. Dass das so vertrauensvoll möglich war, habe ich sehr genossen. Ihnen, Herr Brinkmann, also noch einen besonderen Dank.

 

Und Ihnen sage ich das alles, um noch einmal deutlich zu machen: Bei ihm ist der Kirchenkreis für die nächsten Monate wirklich in guten Händen.

 

Darüber hinaus bin ich gespannt, wen Sie demnächst (wahrscheinlich im Herbst) hier in diesem Kreis als meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger wählen werden. Ich wünsche uns allen, dass das eine gute Wahl sein wird.

 

Ich danke Ihnen nochmals ganz herzlich.

 

Gott möge Sie und den Kirchenkreis segnen.

Volkmar Keil